Valerian und die Volxbibel
Kapitel 6, S. 58 nach dem Absatz
(Doch Linda wirkte nicht überzeugt. Ganz im Gegenteil. Sie blieb den ganzen Tag über ungewöhnlich still. Nicht einmal die wiederkehrenden Streitereien ihrer Freunde brachten sie dazu, auch nur ein Wort des Protestes darüber von sich zu geben. )
Während Linda ihren eigenen Gedanken nachging, war Valerian am Schmökern.
„Sag mal, Alter, liest du schon wieder in dieser Bibel?“
Cendrick sah ihn skeptisch an, während er einen Schluck von seinem Kaffee nahm.
„M hm“, bestätigte der Unsterbliche.
Graciano blickte zu Flint, der ihm aufmunternd zunickte. Daraufhin erkundigte er sich zögerlich bei Valerian:
„Was steht eigentlich im 1. Mose?“
„Hm?“
Valerian sah ihn fragend an.
„Genesis. Wie beginnt das 1. Buch der Bibel?“
„Wieso willst du das wissen? Ich dachte, du kennst die Bibel?“
„Nicht diese Übersetzung. Und ich will es wissen, weil es einer der bedeutungsvollsten Stellen in der Bibel ist. Wenn sie gut wäre, dann hätte diese Volxbibel wohl doch… irgendeinen Wert.“
Na also. Geht doch. Braver Graciano.
Valerian hob die Brauen.
„Ach ne: Wir wollen der Volxbibel also noch eine Chance geben?“
„Ich will es versuchen.“
Die Antwort wurde von einem bemühten Lächeln begleitet.
„Na, dann will ich mal nicht so sein“, meinte Valerian betont gönnerhaft und fing an zu blättern.
Schließlich begann er zu lesen:
„ ‚Wie Gott die Erde gemacht hat: 1 Alles fing damit an, dass Gott die Erde ins Dasein pflanzte und darüber den Himmel ausspannte. 2 Auf der Erde war noch nichts los, es war total dunkel, alles stand unter Wasser. Aber Gott war über allem da mit seinem Geist. 3 Und dann machte Gott eine Ansage: „Es soll jetzt Licht angehen!“ Und es passierte! Plötzlich war es überall hell! 4 Gott fand das Licht total cool! 5 Er teilte das Licht von der Dunkelheit und nannte das Licht ‚Tag’ und die Dunkelheit ‚Nacht’. Dann wurde es Abend und wieder Morgen. Damit war auch schon der erste Tag vorbei.’ Soll ich weiter lesen oder reicht das fürs erste?“
Alle sahen gespannt zu Graciano herüber. Dessen Gesicht spiegelte erneut seine unterschiedlichen Gefühle wieder. Schließlich entschied er:
„Nein, danke. Das ist genug.“
„Und? Wie findest du es nun?“
„Na, wenigstens fand Gott das Licht nicht ‚mega geil’.“
Er grinste schief. Die anderen brachen in schallendes Gelächter aus.
„Hm?“
Valerian sah aus den Gedanken gerissen von seinem Buch auf. Er hatte bereits weiter gelesen. Graciano musste schmunzeln.
„Es ist mir zwar ein Betrübnis, dass sich Valerian nicht von der Lutherbibel oder ‚Hoffnung für alle’ fesseln lässt, doch womöglich ist die Volxbibel genau der richtige Beginn auf dem Weg zu einer, dem Originaltext nahen, Übersetzung.“
Valerian nuschelte etwas Unwilliges vor sich hin und konzentrierte sich wieder auf sein Buch. Graciano wirkte beruhigt.
Vermutlich lehnt er sich bereits innerlich zurück und sieht Valerians Seele als „gerettet“ an, dachte Flint und schmunzelte kurz.
Oder er plant bereits ihn zu seinem bevorzugten Johannesevangelium hin zu führen. Na Hauptsache, er lässt mich damit in Frieden.
Es verging eine Weile, ehe Tamara sich in der Runde umsah. Alle schwiegen und hingen ihren Gedanken nach. Flint fing ihren Blick auf und sah sie fragend an.
„Seit unsere Laberbacke immer beim Essen liest, ist es richtig ruhig geworden am Tisch“, beschwerte sie sich.
„Nicht, dass ich seine hohlen Kommentare vermisse…“
Die Art und Weise, wie sie den Satz nicht weiterführte, verriet Flint, dass sie genau das tat. Als er sie abwartend ansah, war es Tamara, die zuerst den Blickkontakt abbrach.
„Anyway, ich geh dann mal. Bis später.“
Flint hob die Brauen, während Graciano milde lächelte.
Sieh mal einer an…